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Kurze Geschichten

Hier finden Sie eine kleine Auswahl meiner kurzen Kurzgeschichten ...

Schöpfer der Welten

Heute muss ich erkennen: ich bin nur ein grosses Kind und die Welt hat nichts von ihrer Bedrohlichkeit verloren. Doch meine Magie ist gewichen und statt zu glauben muss ich nun wissen. Wo sind die Geister, die mich sonst begleiteten?
Dann muss ich sie wohl neu erschaffen!
Grösser und mächtiger denn je, damit sie in einer täglich wachsenden - ja, explodierenden - Welt bestehen können. Und dann will ich mein Totem greifen und das Glück suchen. Nicht dass ich tatsächlich glaube, es je zu finden, doch denen, die mir folgen wollen verkünde ich: „Wir suchen das Glück, denn wir wissen, es befindet sich irgendwo in der Welt.“
Immer wenn ich die Augen schliesse, sehe ich meinen Weg - die Kunst liegt darin, ihm zu folgen, solange die Augen offen sind und das Leuchten und Glitzern der Welt ihn verbirgt.
Und archaische Gesänge will ich anstimmen und mit dem Wind und dem Donner streiten.

Erstveröffentlichung: FidoNet, AUTOREN.GER, Fr 03.09.1999, 20:54

 

Buchstabensuppe

Die Worte wollen raus. Hinter meiner Stirn tanzen sie wild umher, wollen sich nicht ordnen lassen, streben einfach nach Freiheit. Während ich noch versuche, sie zu ordnen, beginnen sie bereits, meinen Kopf zu verlassen, die
Nervenstränge entlang zu gleiten. In aller Eile drängen sie in meine Hand, versuchen auf das Papier zu gelangen.
Denken denke dachte esse trinke lache goldgelbe Pommes
Prima! Fast wäre ein Satz daraus geworden, aber die Prädikate wußten sich nicht zu einigen und rannten bei der Landnahme das Subjekt über den Haufen.
Jetzt steht es alleine da und muß zusehen, was es mit dem Rest anfängt.
Ich nach darüber zu und mich an die
Das kann nichts werden! Leute, wollt ihr mich in den Wahnsinn treiben?
Schnell versuche ich, den Worten eine vernünftige Reihenfolge zuzuweisen, aber die nächsten strömen bereits auf das Blatt.
Und laut stürzt das Haus zusammen.
Aha, eine Reisegruppe! Und der Sprengmeister ist Reiseführer. Vielleicht wird es doch noch gut. Aber nein, ich habe die Rechnung ohne die Individualreisenden gemacht.
Hund Katze Maus Elefant
Jetzt muß ich wohl eine Safari unternehmen. Und schon höre ich ihn.
Der Löwe brüllt.
Gut, das darf er, solange er weiterhin vollständige Sätze bildet. Vielleicht frißt er ja die anderen entlaufenen Worte auf, und es gelingt mir, das Blatt als Wildnis zu deklarieren. Dann könnte ich eine Expedition zusammenstellen und... Oh nein!
Die Siedler bewaffnen sich und ziehen los, das Untier zu erlegen.
Ich glaube es nicht!
Schnell reiße ich das Blatt vom Block, bevor sie den Löwen in meine Notizen zur Geschichte des Buchdrucks jagen und er vielleicht noch Gutenberg verspeist.
Ich zerknülle das Blatt und werfe es in den Papierkorb zu den unbezahlten Rechnungen.

Erstveröffentlichung: FidoNet, AUTOREN.GER, Di 26.01.99, 11:53

 

wisst Ihr...

Es dauert noch etwas länger als einen Monat bis Weihnachten, aber das typische nass-kalte Wetter, das vielen Menschen Depressionen beschert oder sie sogar in den Tod treibt, entfaltet bereits seine Wirkung. Die Menschen sind mies gelaunt und erkältet.
Ich erhole mich selbst langsam von einer Erkältung. Heute dachte ich fast, mich hätte der Fieberwahn gepackt, als mir im Aufzug ein Weihnachtsmann begegnete! Fast bin ich sicher, er wäre nicht da gewesen, bevor ich blinzelte.
Er sah aus, als sei er der Werbung entsprungen. Er trug den unumgänglichen roten Mantel, hatte einen Wallenden weissen Bart und grinste mich aus seinem runden Gesicht an. Eigentlich hätte ich ihn mir grösser vorgestellt, aber mehr als eineinhalb Meter mass er wohl nicht.
Als jemand ausstieg, stellte er seinen Sack ab und sprach mich an: „Da schaust Du, gell! Schornstein - dass ich nicht lache... Heute kannst Du nicht mehr einfach in die Häuser steigen, schnell die Geschenke unter den Baum legen und Dich aus dem Staub machen, ohne gleich verhaftet zu werden. Manche Häuser haben gar keinen richtigen Kamin mehr. Wenigstens haben sie mir kein Flugverbot auferlegt, aber Strafzettel hagelt es, wenn ich meinen Schlitten mal kurz am Strassenrand lande! Und zu allem Überfluss hat die Weltbevölkerung derart zugenommen, dass ich jetzt schon im November beginnen muss, die Geschenke zu verteilen, damit Weihnachten wenigstens die wirklich braven Eltern nicht mit leeren Händen vor ihren Kindern stehen!“ Als der Aufzug hielt, packte er seinen Sack und hechtete hinaus. Ich blieb verwirrt zurück und hörte ihn noch rufen: „Falls Du vor Weihnachten ein paar Tage Zeit hast, ruf mich an. Ich kann jede Hilfe gebrauchen!“
Am Abend fand ich in meiner Manteltasche eine Visitenkarte, auf der stand „Weihnachtsmann - das Original“ gefolgt von einer Rufnummer. Soll ich wirklich anrufen?

Erstveröffentlichung: FidoNet, AUTOREN.GER, Do 18.11.1999, 00:19

 

Aus Luz' Nähkästchen: Höllisch gut

„Höllisch gut“ – das laß ich mir gefallen, ist ja auch schön wohnlich hier - Kaminfeuer und so.
Aber wenn ich schon höre „wie unter Hempels Sofa“, könnt ich brüllen!
Bei mir ist es tiptop sauber – unter meinem Sofa könnt Ihr Essen zubereiten. Das Personalist ja auch teuer genug. Zum Glück muß ich es nicht selbst bezahlen - Kirchensteuer, versteht Ihr? Ja. Die ganze Kohle landet hier. Im Himmel ist so wenig los, die brauchen keingroßes Budget. Alle nötigen Arbeiten verrichten die da aus Nächstenliebe undihre Party-Häppchen holen sie hier bei uns. Wenn sie Samstag Abend vorbei kommen, verlassen sie die Party erst, sobald sie genug davon für den Rest der Woche eingebunkert haben.
Sonntag hauen sie sich dann mit dem stibitzten Bier die Köppe voll und der Heilige Geist fegt wie Mr. Propper persönlich durch die heiligen Hallen.
Und auf Erden wundert man sich dann, daß das eine oder andere Gebet nicht erhört wird.
Leute, betet Dienstags, dann ist der Kater verflogen und die himmlischen Heerscharen lauschenreumütig auf jede Bitte!

Erstveröffentlichung: http://home.t-online.de/home/murad.khasawneh/ganzkurz.htm (URL nicht mehr gültig), Fr. 07.03.2003, 15:48

 

In der U-Bahn

Ich trete ein Stück von der Bahnsteigkante zurück, damit der ausgeklappte Spiegel der U-Bahn mich nicht erfasst.
Die U4 in Richtung Stresemannallee fährt ein und kommt langsam zum Stehen.
Neben der Tür stehend warte ich ab, bis niemand mehr aussteigt, um dann einzutreten. Während sich die Türen schliessen, kann ein Jugendlicher sich noch schnell hindurchzwängen und die Lichtschranke unterbrechen. Er blockiert die Tür so lange, bis drei weitere Jugendliche völlig ausser Atem hineinrennen.
Die Türen schliessen sich, und die U4 setzt sich in Bewegung.
Ich habe mittlerweile Platz genommen. Bis zur Höhenstrasse muss ich nicht weit fahren, aber nachdem ich bereits zwei Stunden beim Hertie und Radio Diehl verbracht habe, freue ich mich über die kurze Ruhepause.
Ein Mann, etwa um die 30, bittet einen anderen Fahrgast um ein Taschentuch. Der Mann ist durchschnittlich gross, seine Kleidung macht einen abgetragenen Eindruck. Er fragt einen weiteren Fahrgast, da der erste ihn einfach ignoriert.
Als dieser ebenfalls keine Reaktion zeigt, fragt er den nächsten. Er kommt dabei näher.
Immernoch hält es keiner der Angesprochenen für nötig, seiner Bitte zu entsprechen.

Gerade fragt er vergeblich den Herrn zwei Sitze vor mir. Ich halte ihm die geöffnete Packung Tempos entgegen, er kommt näher und nimmt sich ein Taschentuch heraus.
Während er sich bedankt, nimmt er neben mir Platz. Er putzt sich die Nase.
Seine Haare sind nicht gekämmt, graue Strähnen und ein paar kleine Falten lassen ihn etwas älter aussehen.
„Die Leute haben wohl Angst, sie könnten irgendwas von mir kriegen. Sie haben sogar Angst, mir ein Taschentuch zu geben.“, stellt er fest.
Eine Station vor mir steigt er aus.

Erstveröffentlichung: FidoNet, AUTOREN.GER, So 18.08.1996, 14:46

 

Die Fußballvereine

Die Fußballvereine sind so arm, daß sie sich zu zweit nur einen Ball leisten können. Auf dem Rasen sind viele weiße Linien aufgemalt, und es stehen zwei komische Gestelle dort, an denen je ein Netz hängt. An der Umrandung des Spielfeldes stehen viele Worte, ,,Reklame'' genannt, es sind bestimmt die Namen der Spieler.
Ein Fußballverein ist so etwas ähnliches, wie eine Fischercrew, dadurch sind die Netze zu erklären. Im Stadion befinden sich etwa 40.000 Zuschauer, deren Aufgabe es ist, die Spieler durch möglichst lautes Geschrei beim Spiel zu behindern. Diese wiederum treten nach einer (nicht mehr ganz) weißen Kugel, Ball genannt. Jede Mannschaft besteht aus elf Spielern, davon steht jeweils einer während des Spiels bei den trocknenden Netzen. Ein weiterer Spieler, der scheinbar trauert, da er schwarze Kleidung trägt, rennt zwar auch hinter dem Ball her, trifft ihn aber nie, was ihn veranlaßt, seinen Unmut durch Pfeifen auszudrücken. Manchmal hebt er eine gelbe Karte, was einen beliebig anderen Spieler ärgert. Oder eine rote, wodurch ein beliebiger Spieler veranlaßt wird, das Feld zu verlassen, um sich auszuruhen. Die weiße Kugel, Ball genannt, soll die Spieler bei den Fischernetzen treffen. Diese versuchen durch eifriges Hin- und Herwerfen, sich in Sicherheit zu bringen. Manchmal geht ein Spieler kaputt und muß repariert werden. Dann kommt der Trauernde mit einer der beiden gut gemischten Karten und ärgert zurück.

Erstveröffentlichung: als Leserbrief abgedruckt am 01. April 1986 im Tagesanzeiger, Maintal

 

alltägliches Geschäft

Die Tapete warf Blasen, als kochte die Wand. Immer lauter knackte und knisterte es. Tiefe Risse begannen, sowohl die Tapete als auch die Wand zu durchziehen. Vereinzelt brachen Steine heraus und fielen zu Boden. Papierfetzen, Putz und Mörtel, sogar zerteilte Steine trafen jetzt auch den Schreibtisch.
Jo klammerte sich entsetzt an die Armlehnen seines Bürostuhls und jammerte vor sich hin: „Nein, nein. Das gibt es doch nicht!“
Ein Loch, so groß, wie eine Tür, tat sich auf. Statt in den Nebenraum blickte Jo in einen lodernden Feuerschein. Die Gesetzessammlung in der Hand trat ein hochgewachsener Herr im Talar aus eben diesem Loch.
Boshaft grinsend legte er die Gesetzestexte auf den Tisch, lud eine Schrotflinte und durchlöcherte damit den Computer wie ein Sieb. Dann packte er die bereits gedruckten Seiten des Referats sowie das Blatt mit der Aufgabenstellung und trat wieder durch das Loch in der Wand. Er drehte sich noch einmal kurz um und warf eine Visitenkarte in das Zimmer, dann verschwand er. Der Feuerschein in der Wand erlosch und es war wieder ruhig.
Jo konnte nun ins Nebenzimmer blicken.
Er hob die Visitenkarte auf. Darauf stand: „Hol's der Teufel - Probleme aller Art“

Erstveröffentlichung: FidoNet, AUTOREN.GER, Mi 04.11.1998, 21:19

 

Studentenalltag

Im Anfang war das Chaos der Studienordnung und eine höhnische hohle Stimme sprach:
„Du mußt ein Empirie-Praktikum nachweisen.“
So führten höhere Gewalt und eine Einladung im kommentierten Vorlesungsverzeichnis etwa ein Dutzend Teilnehmer in den sagenumwobenen schiefen Turm zu Babel, den sogenannten Affen-Turm. Das Orakel
Artie weilte im Turmzimmer 2903 und tat kund, die Universitätsleitung habe eben das Feuer entdeckt und festgestellt, daß es die Wissenschaft bedrohe.
Untermalt wurde dieser Orakelspruch durch Anschläge der Universitätsleitung, die bewarben, daß in diesem Hause nicht etwa wissenschaftliche Vernunft herrsche, sondern die Willkür einer plötzlich, ganz überraschend, aus dem Nichts hervorgetretenen Armee von Brandschutzvorschriften.
Der Verwaltungsapparat ordnete also einen gezielten Rückzug an, um diese zu verwirren und durch diesen symbolischen Akt das ganze Land gegen sie aufzubringen.

Doch die Brandschutzvorschriften blieben.

Nun verringerte man die statistische Wahrscheinlichkeit, daß jemand den Turm anstecke geschickt durch eine Verringerung seiner Belegungsdichte.

Nach geschlossener vierwöchiger Erhaltung des anfänglichen Projektergebnisses trafen sich etwa 12 Kursteilnehmer mit dem Veranstalter R. Tiemann in neu zugewiesenen Räumen der alten Mensa. Wie sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellte, war hier die Bedrohung durch ein etwaiges Feuer mehr als gering, da die Räume über eine wettergesteuerte Berieselungsautomatik und Wasserkühlung für die besonders feuergefährlichen Leuchtstofflampen verfügten. Über ein aufwendiges System feiner Kapillaren wurde industriell chemisch gereinigtes Regenwasser vom Flachdach in die darunter liegenden Räume geleitet, um dem Ausbrechen eines Brandes durch überhitzte Lampen vorzubeugen.

In dieser Atmosphäre brüteten wir eine Weile über theoretische Aspekte des Empiriepraktikums, um sie später durch Beobachtungen im Foyer der Mensa zu ergänzen. Bald tauschten wir die freie Wildbahn der Mensa mit Laborbedingungen einer Veranstaltung zu Grundlagen und Methoden Empirischer Sozialforschung. Während dieser nicht durch einen richterlichen Beschluß gedeckten Überwachung der Teilnehmer einer universitären Veranstaltung sammelten wir Daten, die es später auszuwerten galt.
Nachdem unser Dutzend zwei Semester lang regelmäßig wie die Eier in der Schachtel beisammen saß und über die Probleme der Forschung schwitzte, durften wir zum Schluß bei der Ausarbeitung jeder selbst vor sich hin brutzeln.

So saß auch ich zu Hause vor dem Computer und schwitzte über meiner Arbeit. Schweißtropfen rannen mein Gesicht hinab und tropften mir vom Kinn. Die Tapete warf Blasen, als kochte die Wand. Immer lauter knackte und knisterte es. Tiefe Risse begannen, sowohl die Tapete als auch die Wand zu durchziehen. Vereinzelt brachen Steine heraus und fielen zu Boden. Papierfetzen, Putz und Mörtel, sogar zerteilte Steine trafen jetzt auch den Schreibtisch.
Ich klammerte mich entsetzt an die Armlehnen meines Bürostuhls und jammerte: „Nein, nein. Das gibt es doch nicht!“
Ein Loch, so groß, wie eine Tür, tat sich auf. Statt in den Nebenraum blickte ich in einen lodernden Feuerschein.
Die Gesetzessammlung in der Hand trat ein hochgewachsener Herr im Talar aus eben diesem Loch. Boshaft grinsend legte er die Gesetzestexte auf den Tisch, lud eine Schrotflinte und durchlöcherte damit den Computer wie ein Sieb.
Dann packte er die bereits gedruckten Seiten meiner Hausarbeit sowie das Blatt mit der Aufgabenstellung und trat wieder durch das Loch in der Wand. Er drehte sich noch einmal kurz um und warf eine Visitenkarte in das Zimmer, dann verschwand er. Der Feuerschein in der Wand erlosch und es war wieder ruhig. Nun konnte ich ins Nebenzimmer blicken.
Ich hob die Visitenkarte auf. Darauf stand: „Hol's der Teufel - Probleme aller Art“

Erstveröffentlichung: http://home.t-online.de/home/murad.khasawneh/ganzkurz.htm (URL nicht mehr gütig), Mi 14.12.2002, 01:00

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